(124) Die kollektive Biographik für sozialdemokratische Personenkollektive im Allgemeinen hat in den letzten Jahren nur wenig Fortschritte gemacht; nur einige wenige Führungs- bzw. Funktionärsgruppen wurden bisher untersucht. Allen voran müssen hier die zeitgenössischen Untersuchungen von Robert Michels genannt werden, die methodisch, wenn auch nicht immer theoretisch und empirisch richtungsweisend für die Forschung gewesen sind, insbesondere: Robert Michels, Die deutsche Sozialdemokratie. Parteimitgliedschaft und soziale Zusammensetzung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 23 (1906), S. 471-556; und sein »Klassiker" der Politischen Soziologie mit vielen impressionistischen Randbemerkungen zur Struktur der zeitgenössischen sozialdemokratischen Parteiführung und der Parteiorganisation: ders., Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, 1. Aufl.: 1911; 2. Aufl.: Stuttgart 1925, Belege aus dem Neudruck: Stuttgart 1957. Frühe Versuche einer Analyse der SPD-Sozialstruktur bzw. der Sozialstruktur der SPD-Funktionäre nach dem Michelschen Vorbild unternahmen: Dietrich Bronder, Organisation und Führung der sozialistischen Arbeiterbewegung im Deutschen Reich, Diss. Göttingen 1952 (Masch.); Joachim Siemann, Der sozialdemokratische Arbeiterführer in der Zeit der Weimarer Republik, Diss. Göttingen 1956 (Masch.). Eine eingehende Kritik beider Arbeiten kann hier nicht geleistet werden; Bronder untersucht 3200 und Siemann (der methodisch versiertere von beiden) 1838 Personen aus der Arbeiterbewegung, dabei bleiben z. B. die Auswahlkriterien der Personen (Repräsentativität!), Quellenlage sowie Erhebungs- und Auswertungsverfahren bei beiden unscharf; für den Vergleich wird unten über einige Ergebnisse von Siemann in den Anmerkungen berichtet werden. - Zur Zusammensetzung der SPD-Reichstagsfraktion u. a.: Erich Matthias/Eberhard Pikart, Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918, Düsseldorf 1966, S. LI-LXVI; Heinrich Potthoff, Einleitung, in: ders. und Hermann Weber, Die SPD-Reichstagsfraktion in der Nationalversammlung 1919-1920, Düsseldorf 1986, S. XI- LI. - Exemplarische kollektiv-biographische Ansätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung sind gesammelt in: Herkunft und Mandat (Frankfurt a. M., Köln 1976). - An neueren Studien vgl. u. a.: Christi Wickert (Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919-1933, 2 Bde., Göttingen 1986) untersucht unter Einsatz der »biographischen Methode" insgesamt 74 Parlamentarierinnen des Reichstages und des Preußischen Landtages in der Weimarer Republik; Jochen Loreck (Wie man früher Sozialdemokrat wurde, Das Kommunikationsverhalten in der deutschen Arbeiterbewegung und die Konzeption der sozialistischen Parteipublizistik durch August Bebel, Bonn-Bad Godesberg 1977, S. 103-254) beschreibt auf der Basis von 33 Autobiographien den Politisierungsprozeß von Sozialdemokraten vor 1914.

(125) Kollektiv-biographische Teilergebnisse des BIOKAND-Projektes sind veröffentlicht worden: Wilhelm Heinz Schröder, Die Sozialstruktur der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten 1898-1912, in: Herkunft und Mandat, Frankfurt a. M./Köln 1976, S. 72-96; ders., Probleme und Methoden der quantitativen Analyse von kollektiven Biographien. Das Beispiel der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten, in: Heinrich Best, Reinhard Mann (Hrsg.), Quantitative Methoden in der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung, Stuttgart 1977, S. 88-125; ders., Quantitative Analyses of Collective Life Histories. The Case of the Social Democratic Candidates for the German Reichstag 1898-1912, in: Jerome M. Clubb, Erwin K. Scheuch (eds.), Historical Social Research. The Use of Historical and Process-Produced Data, Stuttgart 1980, S. 203-224; ders., Einleitung im BIOKAND-Handbuch, S. 9-39; ders., Die Lebensläufe der sozialdemokratischen Reichstagskandidaten: Ausgewählte Fragen und Materialien, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Der Aufstieg der deutschen Arbeiterbewegung, München 1990, S. 185-217.

(126) BIOKAND: Mit Abstand die höchstfrequentiertesten Jahrgänge sind 1868 (35 Kandidaten) und 1866 (33 Kandidaten). Die höchste Verteilungsdichte liegt zwischen den Jahrgängen 1858 und 1875, diesen nur 18 (von insgesamt 5l) Jahrgängen gehören zwei Drittel (65,8%) der Reichstagskandidaten an.

(127) Kohorten können definiert werden als Aggregate von Individuen, die ein zentrales Ereignis im Lebenszyklus oder eine Lebensphase zum ungefähr gleichen historischen Zeitpunkt erfahren. - Vgl. allgemein die frühen Ansätze bei: Arthur Dix, Die deutschen Reichstagswahlen 1871-1930 und die Wandlungen der Volksgliederung, Tübingen 1930, S. 34-35. Dix gliedert leider nur schematisch die Geburtsjahrgänge in 8 Kohorten mit jeweils 5 oder 10 Geburtsjahrgängen; orientiert an Dix, verfährt Siemann (S. 230 ff.) ebenso schematisch, beschränkt sich allerdings auf drei Geburtsjahrgangs-Kohor-ten (1850-1875, 1875-1890, 1890-1910). Bronder übernimmt die Kohorteneinteilung (1855-1870, 1870-1885, 1885-1900) von: Theodor Cassau, Soziologie der Gewerkschaftsbewegung, Halberstadt 1925, S. 124-170.- Vgl. zur Anwendung des Generationsansatzes im Rahmen der neueren Wahlforschung u. a.: Monika Neugebauer-Wölk, Wählergeneration in Preußen zwischen Kaiserreich und Republik, Versuch zu einem Kontinuitätsproblem des protestantischen Preußen in seinen Kerngebieten, Berlin 1987.

(128) Ent sprechend erfolgte bei BIOSOP auch keine Klassifizierung des Geburtsortes nach der Bevölkerungsgröße; zweifellos spielte es für den weiteren Lebenslauf eine wichtige Rolle (insbesondere für Schul- und Berufsausbildung), ob der Abgeordnete auf dem Lande oder in einer Stadt geboren wurde. Siemann (Arbeiterführer, S. 31-32, 34) errechnet für die Weimarer Arbeiterführer folgende »sozialgeographische Herkunft": 43% aus Landgemeinden bis 2 000 Einwohnern (aber 48% der Arbeiterführer mit Volksschulbildung), 27% aus Klein- und Mittelstädten von 2 000 bis 100 000 Einwohnern (aber 45% der Absolventen eines Universitätsstudiums) und 30% aus Großstädten mit über 100 000 Einwohnern (aber 56% der Absolventen weiterführender Schulen).

(129) BIOKAND: Bei allen vier untersuchten Wahlen gibt es nur drei »Überschuß"-Regionen, die stets mehr eigene in der jeweiligen Region geborene Reichstagskandidaten stellten als ihnen nach der Zahl der regionalen Wahlkreise »zugemessen" wären: die Provinz Brandenburg (einschließlich Berlin), das Königreich Sachsen und die hanseatischen Stadtstaaten - mithin frühe Zentren der deutschen Arbeiterbewegung.

(130) Vgl. u. a. die zusammenfassende Diskussion bei: Hartmut Kaelble, Historische Mobilitätsforschung, Darmstadt 1978. Eine im Hinblick auf Quellen und Methoden exemplarische historische Mobilitätsstudie, in der der Vaterberuf als Indikator eine wesentliche Rolle spielt, findet sich bei: Peter Lundgreen, Margret Kraul, Karl Ditt, Bildungschancen und soziale Mobilität in der städtischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1988.

(131) BIOKAND: Bei einer nur geringen Datendichte (34%) wären die Väter der Reichstagskandidaten zu zwei Zehntel (19%) als un- und angelernte Arbeiter/Tagelöhner/niederes Dienstpersonal, zu drei Zehntel (27%) als gelernte Arbeiter/Gehilfen/untere Angestellte/Beamte, ebenfalls zu drei Zehntel (33%) als (meist kleine) Selbständige im Handel und Gewerbe/mittlere Angestellte/Beamte und zu je einem Zehntel (7% bzw. 14%) als (meist kleine) Landwirte bzw. in einem bürgerlich-akademischen Beruf beschäftigt gewesen. - Siemann (S. 23-27) benutzt leider eine andere Klassifikation, so daß der Vergleich erschwert ist; danach kommen die Weimarer Arbeiterführer zu 43% aus dem »Arbeiterstand", 31% aus dem »handwerklichen Mittelstand", 5% aus dem »besitzenden und gewerblichen Mittelstand", 14% aus dem »neuen Mittelstand" und 7% aus der »bürgerlichen Oberschicht".

(132) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, Materialien zur deutschen Familie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, München 1983, S. 109 f.

(133) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 112.

(134) Die wohl spektakulärste Ausnahme unter den unehelich geborenen Abgeordneten bildete der MdR Louis Viereck. Viereck wurde als unehelicher Sohn der seinerzeit berühmten königlichen Hofschauspielerin Charlotte Viereck geboren; als mutmaßlicher Vater wird überwiegend Prinz Wilhelm von Preußen (der spätere Kaiser Wilhelm l) genannt. Die Vaterschaft konnte aber nie zweifelsfrei geklärt werden, z. B. wurden als Väter auch zwei andere Hohenzollern (Georg von Preußen und der ebenfalls aus einer illegitimen Beziehung stammende Louis von Prillwitz) in Betracht gezogen. - Vgl. Helge Berndt, Dokumentation zum 100. Jahrestag des Sozialistengesetzes, S. 248-253; Ulrich Heß, Louis Viereck und seine Münchner Blätter für Arbeiter 1882-1889, in: Dortmunder Beiträge für Zeitungsforschung, Bd. 6 (1961), S. 1-50 (die Frage der Abstammung: S. 43- 46).

(135) Vgl. z. B. die beiden Tabellen über Konfession und Wahlverhalten für 1871-1887 und für 1903 bei Gerhard A. Ritter/Merith Niehuss, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 99-101.- In der wissenschaftlichen Literatur spielt der »konfessionelle Faktor" als Grunddeterminante des Wahlverhaltens eine wichtige Rolle; vgl. u. a. schon die zeitgenössischen Untersuchungen: Alois Klöcker, Die Konfession der sozialdemokratischen Wählerschaft, Mönchen-Gladbach 1913; und: Johannes Schauff, Das Wahlverhalten der deutschen Katholiken im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Untersuchungen aus dem Jahre 1928, hrsg. u. eingeh v. Rudolf Morsey, Mainz 1975. - Vgl. z. B. die zentrale Funktion von Religion/Konfession bei der Herausbildung und Entwicklung von »sozialmoralischen Milieus" und deren Zusammenhang mit dem deutschen Parteiensystem: M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung in Deutschland, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1974, S. 68 und öfters; die einschlägige Forschung zusammengefaßt bei: Gerhard A. Ritter, Die deutschen Parteien 1830-1914, Göttingen 1985, S. 49 ff.

(136) BIOKAND: Bei einer Datendichte von 73% ergeben sich folgende Ergebnisse für die Reichstagskandidaten: etwa zwei Drittel (68,0% von 487) war ursprünglich Mitglied der evangelischen Kirche; von diesen protestantischen Reichstagskandidaten traten in der Folge mindestens fünf Zehntel (48% von 331) aus der Kirche aus. Nur ein Viertel (27,3% von 487) der Reichstagskandidaten gehörte ursprünglich der römisch-katholischen Kirche an; auch von diesen katholischen Reichstagskandidaten traten mindestens fünf Zehntel (49% von 133) aus der Kirche aus. Das heißt, bei der Kirchenaustrittsbewegung läßt sich im Falle von BIOKAND kein signifikanter Unterschied bei den Angehörigen der beiden christlichen Konfessionen beobachten.

(137) Vgl. u. a. die zeitgenössischen Erklärungen zum »Judentum als Rekrutierungsgebiet" der »sozialistischen Führerschaft" bei: Michels, Soziologie, 250-255; auch die biographisch orientierte Studie von Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchischen Zeit, Tübingen 1968; kurzer Uberblick mit Literaturverweisen u. a. bei: Christi Wickert, Frauen im Parlament. Lebensläufe sozialdemokratischer Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik, in: Wilhelm Heinz Schröder (Hrsg.), Lebenslauf, S. 210-240 (hier: S. 230-235).

(138) BIOKAND: Der Dissidentenanteil ist etwas höher als bei BIOSOP, danach trat etwa die Hälfte (48% von 487) der Reichstagskandidaten im Laufe der Jahre aus den christlichen oder jüdischen Glaubensgemeinschaften aus und blieb konfessionslos bzw. freireligiös, aber umgekehrt verblieb ebenso etwa die Hälfte (52%) - zumindest formal - in den Amtskirchen. Siemann (S. 30-32) errechnet für die Weimarer Arbeiterführer einen noch höheren Dissidentenanteil von 57% .

(139) Die Klassifikation der Bildungsqualifikation folgt weitgehend der von Lundgreen et al. (siehe oben) für das Projekt »Bildungsbeteiligung und soziale Mobilität in preußischen Städten des 19. Jahrhunderts" entwickelten und begründeten Klassifikation.

(140) Siemann (Arbeiterführer, S. 20 ff.) sieht in der Bildungsqualifikation das entscheidende soziographische Strukturierungs- bzw. Differenzierungsmerkmal seines Personenkollektivs; entsprechend gruppiert er konsequent nach dem jeweils absolvierten Bildungsgang die Grundgesamtheit »Arbeiterführer" ebenfalls in drei Gruppen (l. mit Volksschulabschluß, II. mit weiterführender Bildung, III. mit Universitätsstudium).

(141) BIOKAND: Von allen Reichstagskandidaten haben mehr als vier Fünftel (max. 83,8%) nur die Volksschule besucht. - Siemann erhält bei den Weimarer Arbeiterführern einen Anteil von 86% .

(142) Vgl. Dieter Fricke, Handbuch, Bd. I, S. 691-696.

(143) Vgl. Dieter Fricke, Handbuch, Bd. I, S. 696 f.

(144) BIOKAND: Mindestens 53 (7,8% von 674) Reichstagskandidaten haben Mittelschulen, (höhere) Bürgerschulen, Realschulen, Lateinschulen oder die Unter- bzw. Mittelstufe von Gymnasien (ohne »Einjähriges") besucht. - Siemann errechnet für die Weimarer Arbeiterführer mit »weiterführender Schulbildung" einen Anteil von 4%.

(145) BIOKAND: Diese Eingangs-Barriere zum »Berechtigungswesen" überwanden immerhin 50 (7,4% von 674) Reichstagskandidaten.

(146) BIOKAND: Unter den Reichstagskandidaten befanden sich nur 6 (ehemalige) Volksschullehrer (l% von 674).
,
(147) Die Subsumierung der Volksschullehrer unter den »Akademikern" z. B. auch bei Bronder, Organisation, S. 122. - Zur »Akademikerfrage" vgl. u.a. Michels, Soziologie, S. 236-256, 300-315; in soziographischer Hinsicht ausführlich bei: Siemann, Arbeiterführer, S. 126-191; jüngste Gesamtdarstellung bei: Gustav Auernheimer, Genosse Herr Doktor, Zur Rolle von Akademikern in der deutschen Sozialdemokratie, Marburg 1985.

(148) BIOKAND: 2 Reichstagskandidaten verließen das Gymnasium nur mit dem »Einjährigen", 48 (7,7% von 674) dagegen mit dem Abitur. 43 (6,9% von 674) Reichstagskandidaten absolvierten eine Universitätsstudium, davon verließen nur 12 die Universität ohne erkennbaren Abschluß. - Siemann (Arbeiterführer, S. 21) errechnet für die Weimarer Arbeiterführer mit akademischer Bildung einen relativ hohen Anteil von 10%.

(149) BIOKAND: 23 (3,4% von 674) Reichstagskandidaten schlossen ihr Universitätsstudium mit der Promotion ab; darunter promovierten 13 zum »Dr.phil.«, 5 zum »Dr.jur.«, 3 zum »Dr.med.« und 2 zum »Dr.rer.pol.«.

(150) BIOKAND: Die un- und angelernten Arbeiter, insbesondere Tagelöhner, Land-, Fabrik- und Bauarbeiter, sind mit einem Anteil von einem Zehntel (76 = 11,3% von 674) ebenfalls nur gering unter den Reichstagskandidaten repräsentiert.

(151) BIOKAND: Insgesamt sind die Tabakarbeiter mit einem Anteil von 4,3% (29 »gelernte" Tabakarbeiter) bzw. 4,6% (31, einschl. von 2 »umgeschulten" Tabakarbeitern) unter den Reichstagskandidaten vertreten. Bezogen auf die Wahlen sank allerdings der Anteil der Tabakarbeiter von 6,9% (= 19, 1898)auf 3,6% (=13, 1912) und bezogen auf die Reichstagsfraktion von 16,1% (1898) auf 6,4% (1912).

(152) Dies gilt um so mehr für BIOKAND: Zweifellos ist der gelernte Arbeiter auch der typische sozialdemokratische Reichstagskandidat: insgesamt 78,5% ( = 529 von 674) der Kandidaten haben eine handwerkliche Lehre oder eine Ausbildung als industrielle Facharbeiter absolviert.

(153) BIOKAND (Verteilung nach Industrie- und Gewerbegruppen): Holz (1898: 17,9%; 1912: 16,7%); Metall (1898: 13,2%; 1912: 16,1%); Druck und Papier (1898: 10,7%; 1912: 6,6%); Bekleidung/Schuh/ Leder (1898: 13,6%; 1912: 11,2%); Bau (1898: 4,6%; 1912: 12,3%).

(154) Vgl. u. a. Adelheid von Saldern, Wer ging in die SPD? Zur Analyse der Parteimitgliedschaft in wilhelminischer Zeit, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Aufstieg, S. 161-183; dort findet sich eine komprimierte Übersicht über die soziale und berufliche Herkunft der sozialdemokratischen Parteimitglieder (klassen- und schichtenbezogene sowie berufsspezifische Merkmale) und über die sozio-kultu-rellen Dispositionen (Bildung und Ausbildung, Alter, Gewerkschaften, Zuwanderer, Parteizentren und Parteiprovinzen, begrenzter Stadtaufenthalt, sozialkatholisches Milieu, überdimensionaler Kultursprung, Pendler, Frauen etc.). - Vgl. allgemein zu den »latenten" und »manifesten" Determinanten des Organisationsverhaltens: Wilhelm Heinz Schröder, Arbeitergeschichte, passim.

(155) Die Erhebung wurde 1930 reichsweit durchgeführt; erhoben wurden folgende Merkmale: Beruf, Alter und Dauer der Parteizugehörigkeit der Parteimitglieder. Es wurde eine geschichtete Stichprobe nach Ortsvereinsgröße gezogen; in die Stichprobe gingen 393 Ortsvereine mit 117 247 Mitgliedern ein (bei einer Gesamtmitgliederzahl von 1037 384 Mitgliedern). Im streng statistischen Sinne dürfte diese Stichprobe allerdings nicht als repräsentativ bewertet werden. Die Ergebnisse sind u. a. veröffentlicht worden in: Jahrbuch der Deutschen Sozialdemokratie für das Jahr 1930, Berlin 1930, S. 193-196.

(156) BIOKAND: Die Anzahl der Kandidaten, die zumindest ursprünglich einen bürgerlich-akademischen Beruf erlernt und ihn meist auch für eine bestimmte Zeit ausgeübt hatten oder noch ausübten, betrug insgesamt 9,2% (62) und blieb - von kleinen Schwankungen abgesehen - bei allen Wahlen absolut konstant (zwischen 34 und 37), entsprechend sank der relative Anteil von 12,1% (1898) auf 10,1% (1912) ab.

(157) BIOKAND: Auch hier sind nur wenige Einzelberufe zahlenmäßig bedeutsamer vertreten; allen voran die »akademischen" Redakteure/Schriftsteller (13 oder 14 Vertreter bei jeder Wahl), Rechtsanwälte (zwischen 4 und 10), die Lehrer (zwischen 3 und 6) und noch die Ärzte (2 oder 3).

(158) BIOKAND: Hier standen nur in gut einem Viertel aller Fälle gesicherte Angaben zur Verfügung. Nachweisbar »militärfrei" waren nur 30 (4,5%) Reichstagskandidaten. Dagegen hatten mindestens 142 (21,1%) »gedient"; davon nahmen mindestens 9 (l,3%) am Deutsch-Französischen Krieg 1870-1871 und mindestens 54 (8%) am Ersten Weltkrieg 1914-1918 teil. Mindestens 4 Reichstagskandidaten, die am Ersten Weltkrieg teilnahmen, fielen im Felde.

(159) Vgl. oben die Definition eines »sozialdemokratischen" Abgeordneten.

(160) BIOKAND: Hier lag das präzise Jahr des Eintritts in die Arbeiterbewegung nur in knapp der Hälfte (44%) aller Fälle vor. Danach traten knapp drei Zehntel (28%) der Reichstagskandidaten schon vor dem Sozialistengesetz der Partei oder einer Gewerkschaft bei und jeweils ein gutes Drittel während des Sozialistengesetze (36%) bzw. nach dem Fall des Sozialistengesetzes (36%). Vor dem Sozialistengesetz gibt es Maxima in den Jahren 1867, 1872 und 1876, während des Sozialistengesetzes in den Jahren 1885, 1887 und 1888, und nach dem Sozialistengesetz in den Jahren 1890 und 1891. Etwa die Hälfte (45%) aller Eintritte erfolgte in dem Jahrzehnt 1884-1893.

(161) BIOKAND: Im Jahrzehnt zwischen dem 18. und 27. Lebensjahr traten vier Fünftel (79%), in den sieben Jahren zwischen dem 19. und 25. Lebensjahr noch knapp zwei Drittel (63%) der Kandid aten der Partei oder Gewerkschaft bei. Im 19. und 20. Lebensjahr finden sich die Eintritts-Höchstzahlen: mehr als ein Fünftel (23%) der Reichstagskandidaten tritt in dieser kurzen Lebensphase bei. Bis zum Ende des dritten Lebensjahrzehntes waren schon mehr als neun Zehntel (91%) Mitglied der Partei oder Gewerkschaft.. Kandidaten, die erst im vierten (8%) oder sogar erst im fünften (l%) Lebensjahrzehnt als Mitglied zur Sozialdemokratie fanden, gehören in der Regel erwartungsgemäß den älteren Geburtsjahrgängen vor 1850 an. - Loreck (S. 220-226) erhält auf der Basis von 33 Autobiographien folgende Ergebnisse: Das Parteibeitrittsalter beträgt durchschnittlich 22 Jahre, das Gewerkschaftsbeitrittsalter 21 Jahre.

(162) BIOKAND: Nur 9 (l,3%) Reichstagskandidaten blieben nachweislich ledig; insgesamt dürfte es ebenfalls nur sehr wenige unverheiratete Kandidaten gegeben haben. Ledige sozialdemokratische Spitzenfunktionäre schienen vor dem Ersten Weltkrieg so selten zu sein, daß das Unverheiratetsein z. B. in Nachrufen besonders und nicht ohne versteckte Anspielungen hervorgehoben wurde oder daß das Unverheiratsein erklärt und »entschuldigt" wurde. Der typische Reichstagskandidat war zweifellos verheiratet.

(163) BIOKAND: Die Datendichte beträgt im Hinblick auf das präzise Datum der (ersten) Heirat nur 17%. Vier Fünftel aller bekannter Heiratsdaten liegen zwischen 1888 und 1901 (mit einem Maximum beim ersten Jahrhundertjahr 1900). Danach heirateten ca. 80% im dritten Lebensjahrzehnt, insbesondere in den Jahren nach Absolvierung des Militärdienstes (ca. im Alter von 22-28 Jahren), ca. 15% im vierten und ca. 5% erst spät im fünften Lebensjahrzehnt.

(164) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 78.

(165) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 78.

(166) Vgl. William H. Hubbard, Familiengeschichte, S. 75. 74

(167) Die zur Zeit der Kandidatur ausgeübten Berufe bei BIOKAND, zusammengefaßt nach der BIOSOP-Klassifikation: 2 (l%; 1898) bzw. 0 (0%; 1912) "Unselbständige ungelernte Arbeiter"; 26 (9%; 1898) bzw. 6 (2%; 1912) "Unselbständige gelernte Arbeiter" (einschließlich "Untere/Mittlere Angestellte"); 92 (33%; 1898) bzw. 35 (10%; 1912) "Selbständige"; 10 (4%; 1898) bzw. 15 (4%; 1912) "Bürgerliche Berufe"; 0 (0%; 1898 und 1912) "Politische Beamte" (Beamtenstatus und SP-Mitgliedschaft waren im Kaiserreich inkompatibel); 148 (53%; 1898) bzw. 310 (85%; 1912) "Arbeiterbeamte".

(168) BIOKAND (Die folgenden Angaben beziehen sich sinnvollerweise nur auf die zumindest 1919 noch lebenden Reichstagskandidaten, d. h. n = max. 554): 4-12 (= 2,2% von 554) Kandidaten übernahmen Funktionen in der Reichsregierung und 60 (10,8%) Kandidaten in der Reichsverwaltung; 56 (10,1%) Kandidaten übernahmen Funktionen in den Länderregierungen und 89 (16,1%) in der Landesverwaltung; 37 (6,7%) Kandidaten übernahmen Funktionen in der Bezirks- und Kreisverwaltung; 66 (11,9%) Kandidaten übernahmen Funktionen in der Kommmunalverwaltung.

(169) Michels, Soziologie, S. 134-141; vgl. u. a. BIOKAND-Handbuch, S. 15-21.

(170) BIOKAND: 348 (51,6%) Reichstagskandidaten bewarben sich im Kaiserreich und/oder in der Weimarer Republik erfolgreich um ein Mandat: 224 (33,3%) zogen als Parlamentarier in den Reichstag und ebenso 224 (33,3%) in einen Landtag ein, 100 (14,8%) sowohl in den Reichstag als auch in einen Landtag und 124 (18,4%) nur in einen Landtag. 87 (12,9%) übten ihr Reichstagsmandat sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik aus und 63 (9,3%) in beiden Phasen ein Landtagsmandat.

(171) BIOKAND: Das »Wahlalter" der Kandidaten (d. h. das Lebensalter des Kandidaten zur Zeit der Wahl) bewegte sich 1898 zwischen 26 und 72 Jahren, 1903 zwischen 27 und 65, 1907 zwischen 27 und 68 und 1912 zwischen 28 und 72. Das durchschnittliche Wahlalter stieg von 40.8 Jahre (1898) auf 45.4 Jahre (1912) und der Median von 40.8 Jahre (1898) auf 44.0 Jahre (1912) an.

(172) BIOKAND: Die Einteilung des Wahlalters nach Altersklassen macht die Schwerpunkte der »Ver-alterung" der Kandidaten deutlich. Der Anteil der »Unter-30-Jährigen" sank von 6,8% (1898) auf 0,6% (1912) ab, d. h. diese Altersklasse war 1912 nur noch durch 2 Kandidaten repräsentiert. Der Anteil der »30-39-Jährigen", die noch 1898 die stärkste Altersklasse bildeten, sank stetig und stark von 40,9% (1898) auf nur noch 26,5% (1912) ab. Die »40-49-Jährigen" waren seit 1903 die mit Abstand dominierende Altersklasse unter den Reichstagskandidaten; ihr Anteil stieg von 36,7% (1898) auf 45,4% (1912) an. Der Anteil der »50-59-Jährigen" nahm ebenfalls stetig zu und stieg von 14.0 (1898) auf 20,6% (1912) an; damit hatte diese Altersklasse die »30-39-Jährigen" anteilsmäßig fast erreicht. Der Anteil der »Über-59-Jährigen" nahm quantitativ den umgekehrten Verlauf des Anteils der »Unter-30-Jährigen" und stieg stetig und leicht von 1,5% (1898) auf 7,0% (1912) an.

(173) BIOKAND: Die Spannweite der Lebensdauer der Reichstagskandidaten reicht von 32 Jahren bis 98 Jahren. Die Jahre, in denen mit Abstand die meisten starben, sind 1932 (25 Todesfälle), 1945 (2l) und 1939 (19). Die höchste Verteilungsdichte liegt zwischen den Todesjahren 1927 und 1947, in diesen 21 »Todesjahrgängen" starben mehr als die Hälfte (50,4%) der Kandidaten. Bei einer fast stabilen Standardabweichung (ca. 12.0) stieg die durchschnittliche Lebensdauer der Reichstagskandidaten mit jeder Wahl an: von 67.6 Jahre (Kandidaten 1898) auf 69.1 Jahre (Kandidaten 1912).

(174) Michels, Soziologie, S. 53 f.

(175) BIOKAND: Leider macht Robert Michels keine Angaben zur präzisen Bestimmung eines »frühen Todes". Definiert man einen »frühen Tod" operational mit einem Sterbealter unter 45 Jahren, um die Michelsche Hypothese überprüfen zu können, dann ergibt sich nur noch eine kleine Gruppe von insgesamt 27 (= 4,0% von 674) Kandidaten; von 19 der 27 Kandidaten ist die Todesursache verläßlich bekannt: davon 7 in geistiger Umnachtung bzw. »nervenkrank" (oft durch Selbstmord), 3 fielen als Soldaten im Ersten Weltkrieg, 3 wurden Opfer von Unfällen und 6 starben - meist berufsbedingt - an der »Proletarierkrankheit". Tatsächlich ist der Anteil derjenigen Reichstagskandidaten, die nachweislich (und nicht nur in jungen Jahren wie oben) durch Selbstmord oder in geistiger Umnachtung aus dem Leben schieden, mit mindestens 3,0% (20) sehr hoch. Diese Todesumstände sind allerdings eher typisch für die Vertreter der »älteren" Arbeiterbewegung: während von den Reichstagskandidaten der Wahl von 1898 noch mindestens 4,6% (13) zu dieser Sondergruppe gehörten, waren es bei denen der Wahl von 1912 nur noch 1,6% (6). Ohne hier auf die näheren Gründe für diese »außergewöhnlichen" Todesumstände eingehen zu können, läßt sich zumindest für die Vertreter der »älteren" Arbeiterbewegung die Michelsche Hypothese eher bestätigen. Aber auch hier mahnt der Vergleich mit größeren Grundgesamtheiten zur Vorsicht bei der Bewertung; zieht man z. B. die jährlichen Mortalitätsstatistiken der freigewerkschaftlichen Einzelverbände zum Vergleich heran, dann sind »Selbstmord/Wahnsinn" unter den Todesursachen stets in einer Höhe von 3% bis 7% (hier besonders bei den Textilund Bauarbeitern sowie bei Berliner Metallarbeitern) vertreten.

(176176) BIOKAND: 11 (2%) Kandidaten verstarben in NS-Haft.

(177177) BIOKAND: Der »typische Reichstagskandidat" .. .: (l) ist zwischen 1858 und 1875 in einem Ort, der in einem nicht-großstädtischen Reichstagswahlkreis (in Preußen) liegt, geboren; (2)-(8) wie BIOSOP; (9) übt längere Zeit - teils als Selbständiger - seinen erlernten Beruf aus und übernimmt im Alter zwischen 27 und 34 Jahren eine besoldete Arbeiterbeamten-Position, dabei wechselt er bis 1914 nur selten die Funktion bzw. die Funktionsebene und den Arbeitsort; (l0) kandidiert nach einer langjährigen »Bewährungszeit" in der Arbeiterbewegung im Alter zwischen 40 und 45 Jahren als Einzelkandidat in einem Wahlkreis seiner »Geburtsheimat" erfolglos zum Reichstag (bis 1914); (ll) bewirbt sich dagegen insgesamt erfolgreich im Kaiserreich bzw. in der Weimarer Republik um ein Reichstags- oder Landtagsmandat und um ein Mandat in den Kommunalparlamenten; (12) stirbt nach dem 65. Lebensjahr unter »normalen« Umständen.